Die Zeit scheint reif für eine radikale Transformation
in der Stadtentwicklung und viele europäische Städte machen sich bereits auf den Weg. Das Leitbild der »Erreichbarkeit«
wird in polyzentrischen Ansätzen durch »Nähe« ersetzt; die Nachbarschaften und Quartiere bilden vernetzte Planungseinheiten
und fungieren als Treiber der sozialräumlichen Transformation. Fußläufigkeit, aktive Mobilität, Dichte, Diversität im
Design und gemischte Nutzungen lauten die neuen Planungsparameter, die Versorgung mit qualitätsvollen öffentlichen Räumen
wird zentral. Das ruft auch Immobilien-Entwickler:innen auf den Plan, die mit preislichen Höhenflügen die Gentrifizierung
in den lebenswerten Quartieren anheizen.
Was können die komplexen Planungskonzepte und welche internationalen Praxis-Erfahrungen
bestehen bereits? Welche Rolle spielt Partizipation? Wie kann Verdrängung verhindert und soziale Durchmischung gewährleistet
werden? Was bedeutet der umfassende Rückbau des motorisierten Individualverkehrs für die Stadt? Welche Strukturen werden
obsolet, welche neue Nutzungen sind denkbar? Wie gestaltet sich der öffentliche Raum neu? Wie kommen Arbeit, soziale und
kulturelle Infrastrukturen in die Quartiere? Wie kann die Transformation gelingen?
Mit »Around
the Corner: Polyzentrale Stadt-Strukturen für die ökosoziale Transformation« lädt das 13. urbanize! Festival ein, gemeinsam
die Gegenwart und Zukunft der Stadt zu entwerfen. Join us!
Festivalpartnerin
Social
Design: Public Energy
Im April 2022 hat das Social Design Studio an der Universität für
angewandte Kunst Wien eine Exkursion nach Mexiko-Stadt unternommen, um die Megapolis zu erkunden und zu fragen, welch jeweilige
Zukunft diese Stadt in den unterschiedlichen Phasen und Brüchen ihrer Geschichte, in einem sich verändernden Land, in einer
sich bewegenden Gesellschaft entworfen und materialisiert hat. Die Suche nach Zukunftsentwürfen kann als Ziel wie als Voraussetzung
der Arbeit im Social Design Studio angesehen werden: sich inspirieren zu lassen, zu lernen und unsere Arbeit auf Modelle,
auf Visionen und utopisches Denken unserer unterschiedlichen Geschichte(n) zu gründen. Wenn wir nicht auf Zukunft verzichten
wollen, müssen wir Imaginäres schaffen, müssen Wünsche entwickeln und äußern und dabei auf Träume und Sehnsüchte anderer hören.
Die Vorstellung von Zukunft basiert auf sozialem Zusammenhalt, mit anderen Worten: auf Vertrauen, auf Bindungen, auf Solidarität,
auf Sorge und auf der Teilhabe an gemeinsamen Interessen und Zielen. Der soziale Zusammenhalt braucht öffentliche Räume, nicht
nur, um den anderen zu begegnen, sondern auch, um Respekt zu erfahren und auszuhandeln, um sich darin zu spiegeln, um das
Vergnügen unerwarteter Begegnungen zu erleben, um vielfältige Impulse zu synthetisieren, kurzum: das eigene Leben kennen zu
lernen.
Die physischen öffentlichen Räume zeigen, wohin Menschen gehen, in ihrem Verhalten, ihrem Konsum, in ihrer
Aufmerksamkeit oder auch Ignoranz. Öffentliche Räume materialisieren Gesellschaften, stellen dar, was zwischen den Menschen,
zwischen den Gebäuden und zwischen dem Geplanten passiert. All diese Möglichkeiten, diese Realitäten wurden aufgrund der
Pandemie-Situation nicht gelebt.
Die Universität als Teil städtischer Öffentlichkeit wurde abgeschottet und verlor
ihre informelle Freiheit. Aus einem Studienprogramm wurde ein Vorlesungsverzeichnis, Inhalte sollten leicht abrufbar sein,
aber konnten nicht ohne Weiteres diskutiert und produktiv bestritten werden. Unter diesen Umständen wurden unsere Arbeit
und unsere Ziele noch deutlicher. Wir spulen die Geschichte nicht zurück und wir kehren auch nicht zu dem zurück, was vor
der Pandemie eine Realität gewesen sein könnte. Die Fragilität unserer Existenz hat uns Energie verliehen, die wir in aktuellen
und kommenden Projekten – in der Stadt, in der Universität, in Zeiten von Kriegen, in der Stärkung unserer internationalen
Netzwerke, in Reisen und in Öffentlichkeit – einsetzen.
Social Design zu machen könnte auch bedeuten, festliche
Anlässe zu schaffen, Offenheit und Erfahrungen auszulösen, uns selbst neu zu erfinden und zu prüfen, wohin uns unsere Arbeit
und unser Denken bringen könnten.
Brigitte Felderer, für das Social Design Studio