Institut
für Sprachkunst'Ein Mann betritt einen örtlichen Bahnhof durch eine Drehtür. In dem Moment, in dem er
zufällig einen bestimmten Winkel erreicht, sieht er sich selbst in der Spiegelung des Glases, überprüft sein Haar und macht
eine Geste, um es in Form zu halten. Zwei Personen, eine Frau und ein weiterer Mann, die ihm direkt folgen, wiederholen die
Geste. Eine dritte Person, die etwas später und in einigem Abstand zu ihnen vorbeikommt, tut dies nicht. Hier ist das Glas
kein Spiegel mehr, sondern wieder durchsichtig. Eine andere Situation: Sie sitzen im Publikum einer Performance. Plötzlich
verstummt das sehr subtile, kaum wahrnehmbare Geräusch der Heizungsanlage im hinteren Teil des Raumes - aus welchem Grund
auch immer. Ohne eine bewusste Entscheidung wird die Aufmerksamkeit der/s Anwesenden durch die augenblickliche Stille freigesetzt.
Sie wird gebunden vom "Klick-Klick" eines abkühlenden Bühnenlichtes über dem Zuschauerraum, das zwei Sekunden zuvor ausgeschaltet
worden war.'
Nach Stationen an Hochschulen in London, Paris, Tirana, Mexico City
und Athen unterrichtet Alexander Schellow seit einigen Jahren an der ERG (École de Recherche graphique) in Brüssel am Institut
für Animation und zeit-basierte Praktiken. Alexander Schellow interessiert sich für Zusammenhänge von Raum, Wahrnehmung und
Handeln im Grenzbereich zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Recherche. Seine Arbeit umkreist u.a. die Frage der
Möglichkeit einer Bearbeitung/ Dokumentation von räumlicher Aufmerksamkeitsverteilung oder Orientierung.
Ausgangspunkt
der Auseinandersetzung ist dabei, dass jeder Raum, den wir möglicherweise wahrnehmen und mit dem wir uns auseinandersetzen
können, immer bereits eine komplexe und in sich relationale Konstellation mehrerer Aspekte ist. Es handelt sich um einen konkreten
Kontext einer ganz spezifischen Materialität und eines verkörperten Wahrnehmenden. Beide sind voneinander abhängig. Verwoben
mit anderern Akteuren und Objekten schaffen sie die Bedingungen, die die Art und Weise bestimmen, wie Welt je spezifisch konstruiert
wird, zum Beispiel durch die Lenkung von Aufmerksamkeit. Oder: Sie ziehen die Grenzen, die unsere tatsächlichen Wahrnehmungs-
und Handlungsfähigkeiten lenken, beeinflussen und begrenzen. Wegen dieser Auswirkungen auf Wahrnehmung und Handlung ist die
Frage nach Verschriftlichung, Analyse und Intervention immer zugleich eine politische und ästhetische Frage - sowohl in der
Feldforschung im öffentlichen Raum als auch bei der Nutzung des gerahmten Raumes beispielsweise einer Black Box oder eines
White Cube.
Vortragssprache: Deutsch