Die titelgebende, algorithmisch
gesteuerte Live-Simulation, eine in Echtzeit generierte virtuelle Realität, skizziert eine bedrückende Version der Zukunft:
Aus Verzweiflung versammeln sich Menschen in Massen auf dem letzten verbliebenen Stück Erde. Jeder Quadratzentimeter ist dicht
gedrängt. Einige versuchen, sich auf Klip-pen zu retten, wo Hunderte Menschen aus Höhen fallen, die sie niemals hätten erklimmen
dürfen. In apokalyptischer Bildsprache zeichnet die Künstlerin in der vierten Position der Reihe CREATIVE CLIMATE CARE, einer
Kooperation des MAK und der Universität für angewandte Kunst Wien, ein pessimistisches, fiktionales Szenario zu den ökologischen
und soziokulturellen Auswirkungen der virulenten Klimakrise.
Nicht nur die katastrophalen Umweltbedingungen treiben
die Menschen in when you are close to me I shiver in die Enge. Auf verschiedenen Tablets scannen virtuelle Kameras die Umwelt
aus verschiedenen Blickwinkeln, wie Überwachungsdrohnen. Auf der Hauptprojektion zielt eine ähnliche Kamera nach dem Zufallsprinzip
auf verschiedene Situationen und fokussiert diese, während ein vertrautes Voice-Over die tragische Geschichte erzählt. Die
„Charaktere“ des Szenarios berühren und verstören zugleich: Groteske Low-Poly-Klone des 3D-gescannten Körpers der Künstlerin
symbolisieren eine verzweifelte unifor-me Gesellschaft auf der Insel.
Inspiration zur künstlerischen Auseinandersetzung
mit der tiefen ökologischen und damit auch sozialen Krise der Menschheit bezog Menegon aus der Geschichte der Walrosse in
der eindrucksvollen, von David Attenborough erzählten britischen Dokumentarfilmreihe
Our Planet (2019). Da es aufgrund
der Polareisschmelze fast keine Eisschollen mehr gibt, müssen sich die Tiere auf einer 80 Meter hohen Klippe ausruhen, wo
sie dicht aneinandergedrängt liegen und spüren, wie sich ihre Freunde unter ihnen bewegen. Beim Versuch, ins Wasser zurückzukehren,
gleiten sie von der Klippe. Die Crew filmte Hunderte von Walrossen, die in den Tod stürzten.
Die Wahl digital animierter
Avatare als Protagonisten für when you are close to me I shiver bezieht bewusst Virtual Reality in die Auseinandersetzung
mit „Lebensraum“ ein. Mit den nach ihrem eigenen Abbild generierten Kreaturen taucht Menegon propriozeptiv in die Fragilität
des physischen Seins, in Möglichkeiten virtueller Körperlichkeit und in die daran geknüpfte Selbstwahrnehmung und Identität
ein. Online-Plattformen konfrontieren uns nahezu täglich mit unserem immateriellen Selbst und einer neuen Identität jenseits
physischer Grenzen. Die scheinbar surrealen Szenen in when you are close to me I shiver lesen sich auch als eine Reflektion
der aktuellen Distanzkultur und als Erinnerung an die begrenzte Kapazität unseres Lebensraums.
Martina Menegon
schloss 2015 das Diplomstudium „Medienkunst: Transmediale Kunst“ bei Prof. Brigitte Kowanz ab. Die Künstlerin arbeitet mit
Interaktion und Mixed Reality, um das zeitgenössische Selbst und seine synthetische Körperlichkeit zu erforschen. Ihre Werke
experimentieren mit unheimlichen und grotesken virtuellen Körpern und schaffen verstörende und verwirrende Erfahrungen, die
trotz der virtuellen Natur physisch wahrnehmbar werden. Sie lehrt an der Abteilung für Transmediale Kunst der Universität
für angewandte Kunst Wien und an der IUAV Universität Venedig (MA Digital Exhibit, BA Multimedia Arts).
Mit der
Ausstellungskooperation CREATIVE CLIMATE CARE bieten das MAK und die Universität für angewandte Kunst Wien fünf durch eine
Jury ausgewählten AbsolventInnen der Angewandten die Möglichkeit, mit jeweils dreiwöchigen Ausstellungen die CREATIVE CLIMATE
CARE GALERIE zu bespielen. Die Reihe setzt sich mit dem Beitrag von Design, Architektur und Kunst zur Entwicklung eines neuen
Mindsets für aktive Klimapflege auseinander.
CREATIVE CLIMATE CARE zeigte bisher Positionen von Florian Semlitsch,
Sophie Gogl und Chien-hua Huang und präsentiert nach Martina Menegon zum Abschluss Antonia Rippel-Stefanska.
Pressefotos
stehen unter
MAK.at/presse zum Download bereit.