Verrottende Klänge
Projektleiter: Thomas Grill, Universität für Musik und darstellende
Kunst Wien, Institut für Komposition und Elektroakustik
Projektpartner: Till Bovermann, Universität für angewandte Kunst
Wien, Art & Science
Projektpartner: Almut Schilling, Akademie der bildenden Künste Wien, Institut für Konservierung
- Restaurierung
Verrottende Klänge –
über den zeitlichen Verfall von digitalem
Audio: sich dem Verderben hingeben
Der Großteil des heutigen Medienangebots, Audio wie Video, wird in
digitaler Form produziert und gespeichert. Digitale Daten sind vom Mythos der verlustfreien Übertragung und Umwandlung umrankt,
obwohl die tägliche Erfahrung beweist, dass Daten einem Verfallsprozess unterliegen, und sich letztendlich auf verschiedene
Weise zersetzen. Dies betrifft die Physis von Speichermedien und Abspielgeräten wie auch Medienformate und Software im Kontext
ihrer technologischen Infrastruktur. Das Projekt beschäftigt sich mit den Ursachen, Mechanismen und Effekten solcher Verfallserscheinungen,
speziell im Kontext von digitalen Klängen.
Da Degradation prinzipiell nicht verhindert werden kann, ist es unser wesentlichstes
Anliegen, der künstlerischen Praxis verborgene Freiheitsgrade im Umgang mit der Allgegenwart des Verderbens zu offenbaren.
Wie können derartige Phänomene innerhalb der Klangkunst verstanden, ausgelöst, reproduziert, gesteuert und genützt werden?
Was sind die Mechanismen und Auswirkungen von Obsoleszenz in Hard- und Software? Wie kann man den Prozess des Verfalls in
der digitalen Domäne modellieren und was sind seine Produkte und Überreste? Welches sind die Einflüsse der Umgebung und menschlicher
Interaktion? Inwieweit sind künstlerische Werke Produkte ihrer Materialquellen oder ihrer Verfallserscheinungen?
Zu Beginn
des Projekts werden wir zunächst die Grundlagen und Mechanismen des Datenverfalls erforschen, und fünf thematische Workshops
organisieren, um Ideen und Konzepte zu erarbeiten. Wir werden einen grundlegenden Baukasten für digitales Audio entwickeln,
der uns als Basis für Experimente an Verfallserscheinungen jeglicher Art dient, betreffend Datenträger, elektronische Schaltkreise,
algorithmischer Logik und Sprache, sowie in Bezug auf Ästhetik und Bedeutung in Form musikalischer Inhalte. Ausgewählte experimentelle
Prototypen werden als künstlerische Werke ausgearbeitet und der Öffentlichkeit in Form von Performances und Installationen
über lange Zeiträume oder in herausfordernden Umgebungen ausgesetzt. Schriftliche Publikationen und ein Symposium werden über
die Konzepte, Ergebnisse und Nachwirkungen des Projekts reflektieren.
Wir sehen unser Vorhaben als Leuchtturmprojekt,
welches die Aufmerksamkeit gegenüber größtenteils unerforschten Eigenschaften von digitalem Klang als einer Hauptkomponente
zeitgenössischer Kunst und weit verbreiteter Technologie verstärkt. Wir hoffen, das generelle Bewusstsein die Materialität,
Fragilität und sozio-ökonomischer Kontextualität digitaler Daten betreffend zu heben, indem wir diese Themen in der breiteren
künstlerischen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit diskutieren und verbreiten. Unser Zugang ist im Grunde invers zu typischen
technologischen oder wissenschaftlichen Methoden: Anstatt nach Wegen zur Überwindung eines allgemein so verstandenen Defekts
zu suchen, schlagen wir vor diesen Defekt anzuerkennen und einfließen zu lassen, sodass sich sein potentieller Schaden zu
einem Nutzen wandelt.