Diese Ausstellung entstand auf Einladung
des Vorstands der Universitätsgalerie Heiligenkreuzerhof an Bouchra Khalili, bildende Künstlerin, Professorin und Leiterin
des Fachbereichs Artistic Strategies an der Angewandten. Khalili folgte der Einladung mit einer kollaborativen kuratorischen
Plattform, die im vergangenen Wintersemester im Rahmen eines Seminars gemeinsam mit Studierenden verschiedener Fachbereiche
und Lehrenden der Abteilung für Artistic Research entwickelt und aktiviert wurde.
The weather is uncertain tonight, as
is my soul ist das Ergebnis dieser kuratorischen Plattform. Die Ausstellung präsentiert Arbeiten von elf Künstler:innen,
die sich mit Fragen der Ökologie, mit Geschlecht und Sexualität, mit verdrängter Geschichte und kollektivem Gedächtnis sowie
mit der Tradierung und Macht des Storytellings beschäftigen und dazu einladen, andere potenzielle Welten zu imaginieren.
An einem Novemberabend im Jahr 1990 schrieb Etel Adnan: „The weather is uncertain tonight, as is my soul.” In
ihrem Buch
Of Cities & Women (Letters to Fawwaz) begibt Adnan sich auf eine poetische Suche nach Fragmenten ihrer
pluralen Identität. In Briefen an Fawwaz Traboulsi – Historiker und Herausgeber der Zeitschrift Zawaya, die Adnan beauftragt
hatte, einen Essay für eine Sonderausgabe zum Thema „arabische Frauen“ beizutragen – berichtet sie von ihren Beobachtungen
während einer Reise, die sie nach Barcelona, Aix-en-Provence, Skopelos, Murcia, Amsterdam, Berlin, Rom und Beirut führte.
Adnas bewegende Briefe handeln von Geschlecht, Geografie, Kultur, Krieg und dem Tod. Diese Überlegungen führen sie immer wieder
auch zur Reflektion ihrer eigenen Positionierung als Künstlerin und zu persönlichen und existenziellen Fragen: „Wer bin ich,
wozu bin ich gut, in welche Ordnung passe ich, zu welchem Zweck handle ich, welchen Weg muss ich gehen?“
The
weather is uncertain tonight, as is my soul versammelt vielfältige künstlerische Positionen, die Adnans Fragen auf unterschiedliche
Weisen aufgreifen – von
Yael Bartanas Two Minutes to Midnight und ihrem „Pre-Enactment“ einer fiktiven
von Frauen geführten Nation bis hin zu
Sharon Hayes‘ künstlerischen Untersuchungen der Geschlechtervielfalt.
Beide Künstlerinnen offenbaren das weite Spektrum, in dem sich Geschlecht und Sexualität bewegen.
Laure Prouvosts
spielerische Videoskulpturen und Wandteppiche machen Storytelling als Methode der kollektiven Fabulation und des Weltenmachens
(worlding) erfahrbar.
Otobong Nkanga und
Rossella Biscotti thematisieren die
koloniale Genealogie der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ihrer gegenwärtigen Auslöschung und stellen die drängende Frage:
„Wie sieht unsere kollektive Zukunft aus?“
Yto Barrada untersucht die erzählerische Kraft des
Spiels, der Poesie und des Humors, um das Selbst neu zu erfinden. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die Teilnahme ihrer Mutter
Mounira an einer vom „African Youth Leadership Program“ organisierten Reise durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1966 – eine
Zeit, die von politischen Befreiungskämpfen sowie der Hoffnung auf Dekolonisierung und globale Gleichberechtigung im interkulturellen
Austausch geprägt war. Auch
Lamia Joreige befasst sich mit der Macht der Erzählung und beleuchtet die Geschichte
der Bürgerkriege im Libanon (1975-1990) und die Unmöglichkeit ihrer kollektiven Erinnerung.
Solche Suchbewegungen
liegen auch der künstlerischen Strategie von
Leslie Hewitt zugrunde. Ihr konzeptioneller Zugang zur Fotografie
erlaubt es ihr im Feld der Skulptur zu operieren und multimedial über die Beziehung zwischen Schwarzer Geschichte und persönlicher
Erinnerung nachzudenken. Ähnliche Erzähltechniken finden sich in den filmischen Arbeiten von
Wu Tsang, in
denen fantastische Umwege Zugang zu einem Imaginären ermöglichen, in dem verborgene und unbekannte Geschichten erfahrbar werden.
Darüber hinaus vermittelt die Ausstellung einen intergenerationellen Austausch zwischen den Werken von Etel Adnan
und Bettina, die beide im November 2021 verstarben. Die Künstlerinnen verbindet die geteilte Erfahrung der Gleichgültigkeit
der Kunstwelt gegenüber ihrer lebenslangen künstlerischen Praxis. Adnan ¬wurde zwar schon früh als Dichterin gefeiert, erlangte
aber erst 2012 durch ihre Teilnahme an der dOCUMENTA (13) internationale Anerkennung als Malerin.
Bettina
war eine äußert produktive Künstlerin und arbeitete fast fünfzig Jahre lang isoliert in ihrem Zimmer im Chelsea Hotel in New
York City. Ihre erste institutionelle Ausstellung fand 2019 im Rahmen einer Doppelausstellung mit Yto Barrada unter dem Titel
The Power of Two Suns im LMCC Arts Center auf Governors Island statt.
The weather is uncertain tonight, as is
my soul präsentiert fünf skulpturale Arbeiten von Bettina, die die visuelle Grammatik ihres Werks, das neben Skulptur
auch Fotografie und Film umfasste, widerspiegeln: streng und selbstreferenziell, zerbrechlich und zugleich stolz.
Ein Leporello, eine Art Übung aus Zeichnung und Schrift, veranschaulicht die für
Etel Adnans Werk konstitutive
Verbindung von visueller Form, Poesie und Schrift. Ein Video von Lamia Joreige, dass in Zusammenarbeit mit Etel Adnan entstand,
zeugt von weiteren wertvollen generationenübergreifenden Inspirationen und Dialogen.
Die Ausstellung versteht Bildungseinrichtungen
als Möglichkeitsräume des intergenerationellen Austauschs, als ein Ort für die kollektive Produktion und den Austausch von
Wissen. Jede der gezeigten Arbeiten erforscht Formen und Praktiken der Wissensproduktion und -vermittlung, die sich den vorherrschenden
epistemologischen Strukturen widersetzen, sie ergänzen, durchkreuzen oder unterlaufen. Die elf Künstler:innen setzen auf Vielfalt
und Vielstimmigkeit, um unsichtbar gemachte Vergangenheiten aufzuzeigen und sich eine lebenswertere Zukunft vorzustellen,
die zu solidarischem Handeln in der Gegenwart verpflichtet.
Kuratorisches Team: Morgane Billuart, Marei Buhmann,
Anne Faucheret, Fiona Hauser, Bouchra Khalili, Stephanie Misa, Julia Schmidt, Felix Schwentner, Antoine Turillon, Ramiro Wong,
Qianwen Zhu
9. März – 6. MaiÖffnungszeiten: Mittwoch – Samstag, 14 – 18 Uhr
Feiertags geschlossen
Termine für Führungen durch die Ausstellung mit Studierenden aus dem kuratorischen
Team:
27.04.2023 16:30 Uhr mit Felix Schwentner und Marei Buhmann
04.05.2023
18:00 Uhr mit Julia Schmidt und Marei Buhmann
Universitätsgalerie der Angewandten
Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse
5, Stiege 8, 1. Stock, 1010 Wien
Tel: +43 1 711 33-6300
https://universitaetsgalerie.dieangewandte.at___________________
1 Etel Adnan, “Of Cities and Women: Letters to Fawwaz”, (The Post-Apollo Press,
1993).