TransArts: Christoph Gnädig
Chock! Eine Subgeschichte des Avantgarde-,
Experimental- und Undergroundfilms (und der Videokunst)
„Der Film“, schreibt Walter Benjamin
1935, „ist die der betonten Lebensgefahr, in der die Heutigen leben, entsprechende Kunstform. […] Darauf beruht die Chockwirkung
des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will.“
Jedes
Bild ein Geschoß. Jonas Mekas, langläufig als „der Pate des amerikanischen Avantgardekinos” bezeichnet, schrieb 1960 im First
Statement Of The New American Cinema Group: „We don’t want false, polished, slick films— we prefer them rough, unpolished,
but alive; we don’t want rosy films: we want them the color of blood.” Was Walter Benjamin 1935 noch für den Film im Allgemeinen
annahm – und was im Grunde seiner Zeit schon anachronistisch war, angesichts des bereits vorangeschrittenen Auseinanderfallens
in ein kommerzielles und ein Kunstkino –, ist 1960 zur Programmatik eines avantgardistischen Kunstfilms geworden. Die von
Mekas geforderte „roughness“, „bloodiness“ und „liveliness“ können so als Äquivalente zu Benjamins „Chockwirkung“, „Geschoßhaftigkeit“
und „Geistesgegenwart“ gelesen werden, welche sich zu den Parametern einer neuen (Underground)Filmsprache gewandelt haben.
Der Vortrag versucht nach den Bedingungen für die Entstehung einer Film-Avantgarde in den 1920er Jahren zu fragen
und von dort ausgehend die filmkünstlerischen Entwicklungen im 20. Jh. in den Blick zu nehmen, mit besonderem Augenmerk auf
das, was heute als Experimentalfilm, Undergroundfilm und Videokunst gefasst wird. Es soll versucht werden, systematisch Unterschiede
und Gemeinsamkeiten und sich verändernde Strategien und Taktiken auszuloten und im Hinblick auf die sogenannten „Neuen Medien“
gefragt werden, inwiefern aufgrund des immer selbstverständlicher Werdens filmischer Mittel Film als (nicht nur künstlerische)
Handlungsform begriffen werden kann, „die das Kinematografische als eine lebensweltlich ausgreifende Aktivität im Sinne situativer
Begegnungen und Ereignisse versteht“, so Rainer Bellenbaum.
Das Ganze versteht sich als eine alternative Filmgeschichte
oder Subgeschichte, die letztlich den Film als Film betrachtet, also als originäres Medium, dass in seiner Spezifik nicht
lediglich als ein Fortleben des Theaters oder der Literatur mit bewegten Bildern zu erfassen ist.
Christoph
Gnädig (*1983) ist Film- und Medienwissenschaftler, Medienkünstler, Freier Kurator und Autor. Studium der
Theater-,
Film- und Medienwissenschaften, Universität Wien. Seit 2014 Studium in der Klasse "Kunst und Film" bei Thomas
Heise,
Wien. Seit 2016 Doktoratsstudium an der Universität Wien zum Thema "Überlebensdokumente". Seit 2018 Studium
in der Klasse
„Expanded Cinema“ bei Clemens von Wedemeyer, Leipzig. Forschungsaufenthalte in New York und Jerusalem. Lehrtätigkeit seit
2015 an der Universität Wien. Verschiedene Publikationen, zuletzt: „WhatBreaksThePattern“,
Kunsthalle Wien 2019; "Walter
Benjamin und das Kino. Wirkungen und Korrespondenzen." Böhlau Verlag 2018. Er „lebt“
und arbeitet in Wien und Leipzig.
Lässt das Leben auf sich regnen.