Die derzeitige MAK Schausammlung Wien 1900 mit ihren facettenreichen
Exponaten aus Design und Kunstgewerbe steht im Zentrum der Intervention TRANSMEDIALE 1900. Studierende der Klasse
Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien (Leitung: Jakob Lena Knebl) beschäftigten sich intensiv mit
den Exponaten der vielschichtigen Kulturepoche zwischen 1890 und 1938 und reagierten auf Objekte der Arts-and-Crafts-Bewegung,
der Wiener Werkstätte oder Interieurs von Adolf Loos und Margarete Schütte-Lihotzky. Ihre durch die Sammlung inspirierten
Ideen und kritischen Zugänge finden Ausdruck in Keramiken, Zeichnungen, Textilarbeiten, Musikstücken oder Installationen.
Mit 17 temporären Interventionen in den Schausammlungsräumen lassen sie neue Assoziationen zur Wiener Moderne entstehen, während
das Team des MAK die Neuaufstellung der Sammlungsräume vorbereitet, die 2025 eröffnet werden.
Jede
der gezeigten Arbeiten interpretiert und transformiert ein spezifisches Element aus dem Umfeld der bahnbrechenden Entwicklungen
in Wien um 1900 auf individuelle Weise. Dabei werden unterschiedliche Medien, Techniken und Konzepte verwendet, um zeitgenössische
Perspektiven auf die historischen Kontexte zu werfen. Themen wie Transformation, Erinnerung, Technologiewandel, Geschlechterrollen
und grundlegende gesellschaftliche Veränderungen werden durch vielfältige Ausdrucksmittel reflektiert.
Ein spezielles
Leitsystem in Form von transparenten, neongrünen Monogrammen, das von Maximilian Prag in Referenz auf Typografie-Entwürfe
der Zeit um 1900 entwickelt wurde, hebt jede künstlerische Position individuell hervor.
Interventionen
in der MAK Schausammlung Wien 1900Cristian Anutoius Arbeit
extrusion bezieht
sich direkt auf ein 1925 von Margarete Schütte-Lihotzky für Karoline Neubacher entworfenes Wohnschlafzimmer. Die von Holz
dominierte Raumgestaltung dient als Ausgangspunkt. Anutoiu fügt dem Interieur ein Objekt hinzu, das den Raum verlebendigt
und ihm eine gewisse Mystik verleiht.
Julius Anatol Biswurms Soundarbeit
Decaying Resonance
reagiert unmittelbar auf einen Ladenschrank von Eduard Josef Wimmer-Wisgrill aus dem Jahr 1908. Die Komposition orientiert
sich am treppenförmigen Aufbau des Möbels und setzt die Variation eines Motivs ein. Natürliche Geräuschwelten kontrastieren
mit der Handwerkskunst und dem abstrakten Charakter des Möbelentwurfs.
Francesca Centonze präsentiert
ein weiches, in blauen Samt gehülltes, fast sechs Meter langes Raumobjekt in Form einer Sitz-Skulptur:
Uvula. Die
unkonventionelle Gestaltung findet ihre Inspiration im Gaumen-Zäpfchen. Als Muskel markiert es einen Übergang im Körper –
sowohl physisch als auch sprachlich. Ähnlich fungiert das organische Objekt als eine Art Schwelle zwischen angewandter (man
darf darauf Platz nehmen) und bildender Kunst.
Unter Bezugnahme auf die zentrale Bedeutung der Keramikgestaltung
für die Wiener Werkstätte entwirft
CERAMIC GOONZ in
step by step ein personalisiertes Teeservice
aus Ton. Der Künstler nutzt eine unkomplizierte „Würschteltechnik“. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Erforschung kreativer
Prozesse, die innere Befriedigung und intuitive Gestaltungselemente einschließen.
Patrícia Chamrazovás
Arbeit
Vienna 2023 reflektiert die Veränderungen unserer Welt durch Technologien wie Augmented Reality. Die Künstlerin
nimmt Bezug auf ausgewählte Sammlungsobjekte und verändert sie durch animierte 3D-Scans. Die Arbeit spielt mit der Ästhetik
des frühen 20. Jahrhunderts und verbindet sie mit heutiger Technologie.
Josepha Edbauers Arbeit
trauriger Kunststoffstuhl ersetzt ein bestehendes Ausstellungsobjekt durch den weltweit verbreiteten Kunststoffstuhl
Monobloc. Die Künstlerin lässt den Stuhl in sich zusammenfallen, als Kommentar zur Tatsache, dass die Geschichte der Wiener
Moderne im Museum mit dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland endet und die nationalsozialistischen Verstrickungen
einiger Protagonist*innen unerwähnt bleiben.
Sarah Glück widmet ihre Arbeit
Das sehende Auge
schaut nicht weg den jüdischen Künstlerinnen der Wiener Werkstätte, die – wie Vally Wieselthier – bevorzugt mit Keramik
arbeiteten. Einige von ihnen, darunter Kitty Rix und Grete Neuwalder, wurden Opfer des NS-Regimes, mussten fliehen oder wurden
ermordet. Als Denkmäler schafft die Künstlerin kleine Augenfliesen, die über die gesamte Ausstellung verteilt sind. Sie bilden
ein vielfältiges Erinnerungssystem: Augen, die hinschauen, miterleben, zurückschauen und ewig Zeugnis ablegen.
Fiona
Hausers Beitrag
Dear Museum of Applied Arts,… thematisiert den Teil der Biografie von Adolf Loos, der von
Verdrängung und Vergessen geprägt ist: den Kindesmissbrauch; sie vermisst in der im Jahr 2013 konzipierten Schausammlung einen
entsprechenden Kommentar und ergänzt die Information, indem sie auf einem Lesepult die „Fallakte Loos“ ausstellt.
In seiner Arbeit
blurred inbetween geht
Elias Jocher von der ornamentalen Formensprache des Jugendstils
aus und transformiert sie digital in zeitgenössische Objekt-Wesen. Ähnlich dem Jugendstil, der von reproduktiven und evolutionären
Prozessen beeinflusst wurde, erfährt auch die digitale Realität eine kontinuierliche Erneuerung und Weiterentwicklung.
Sjeng Kessels greift äußerst subtil in ein Herrenzimmer von Adolf Loos ein. Der Künstler reagiert
auf eine Serie von Reproduktionen in der Holzvertäfelung, indem er sie übermalt und künstlerisch auflädt. Die Reproduktionen
werden dadurch zu eigenständigen Kunstwerken und kommentieren gleichzeitig das Gesamtsetting.
In
Have you heard
of… verhüllen die Künstlerinnen
Alice Klarwein, Camilla Ruh und
Marlene Stahl eine
existierende Vitrine mit einem textilen Überwurf und verbergen damit teilweise die Exponate. Die Arbeit passiert vor dem Hintergrund,
dass die Geschichte von Künstlerinnen von Unsichtbarkeit und der Dominanz patriarchaler Gesellschaftsstrukturen geprägt war.
Simon Kubiks Intervention
Form folgt Kosteneffizienz besteht aus einem Arrangement von Fast-Food-Verpackungen
aus Edelstahl. Es spielt auf das traditionelle Tee- oder Kaffeeservice als Symbol bürgerlicher Etikette und Inbegriff der
anspruchsvollen Gestaltung der Wiener Werkstätte an und steht gleichzeitig für den zeitgenössischen Begriff von Freiheit und
Individualität.
Vanessa Mazanik reflektiert in ihrer Arbeit
shape of the shape den Einfluss
der Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen in Bezug auf Begriffe wie Muster und Raster, die in Gestaltungsfragen
in Wien um 1900 wesentlich waren. Der transparente Werkstoff Glas fungiert hier als Medium, das Veränderung repräsentiert,
während die Glasmalerei auf die handwerkliche Tradition verweist.
Brooklyn J. Pakathis Werk in
search of… entsteht durch die Auseinandersetzung mit historischen Dokumenten aus dem Archiv der Wiener Werkstätte,
wobei Pakathi versucht, die üblichen Erzählungen zu hinterfragen und den Stimmen von Frauen, queeren Personen und der „global
majority“ Sichtbarkeit zu geben.
Maximilian Prags künstlerischer Beitrag
fuck, marry, kill:
art craft design manifestiert sich in einem von ihm entworfenen Ausstellungsplakat. Der Künstler nimmt grafische Elemente,
Layouts, Typografien und Sujets von Koloman Moser, dem Jugendstil und der Wiener Werkstätte als Ausgangspunkt, um nach Verbindungen
zu zeitgenössischen grafischen Ausdrucksformen zu suchen.
Marian Steins und
Ludwig Riegers
Objekt
No.371.stl knüpft direkt an Josef Hoffmanns Siebenkugel-Stuhl an. Das Objekt besteht aus Fragmenten des Vorbilds,
die unter Verwendung verschiedener Materialien und computergestützter Fertigungstechniken hergestellt wurden. Dabei steht
die Betonung der Einheit von Entwurfsprozess und Material, die ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Werkstätte ist, oft
im Konflikt mit der Immaterialität der digitalen Produktionsmethoden.
Die Video- und Soundarbeit
tavola rasa
von
Iris Writze und
Hsin-Yu Chou interagiert mit einem Teetisch von Edward William Godwin
(um 1870). Eine Videoprojektion auf der Tischplatte schafft ein imaginäres Szenario, inspiriert von den Veränderungen im Tanz
um 1900. Geräusche aus Wien und Taipeh (den Wohnorten der beiden Künstlerinnen) hinterfragen die Klanglandschaft, die uns
vertraut erscheint.
ÖffnungszeitenDi 10–21 Uhr, Mi bis So 10–18 Uhr
KonzeptLilli Hollein, Jakob Lena Knebl
GastkuratorinnenEva Chytilek, Doris Krüger, Martina Menegon
KuratorinAnne-Katrin Rossberg
RahmenprogrammDetails unter
MAK.at