Tschudi und Čižek werden dafür als exemplarische künstlerische Positionen im Europa der Zwischen-
und Nachkriegszeit betrachtet, in der sich Aspekte der angewandten und bildenden Kunst sowie von Abstraktion und Figuration
gegenseitig durchdringen. Sowohl Tschudis künstlerische Arbeiten als auch Čižeks Pädagogik sind mit der Entwicklung des modernen
Farbdrucks ebenso wie mit Reformtendenzen in Gesellschaft und Pädagogik und der Entdeckung der „Kunst der Kinder“ um 1900
verknüpft. Lill Tschudi studierte 1929 an der Londoner Grosvenor School of Modern Art bei dem britischen Künstler Claude Flight
(1881–1955) Linolschnitt. Flight integrierte nach einer persönlichen Begegnung mit Čižek dessen Ansätze in den eigenen Unterricht.
In der Einleitung seines 1934 erschienenen Buchs
The Art and Craft of Lino Cutting and Printing, das er mit Linolschnitten
von Kindern und Arbeiten seiner Studierenden gleichermaßen illustrierte, nennt er Čižeks Arbeitsweise als Vorbild für eine
vom künstlerischen Tun von Kindern abgeleitete Suche nach Ausdruck und „emotionaler Organisation“. Čižeks Haltung und Arbeitsmethoden
in seiner zwischen 1903 und 1906 in die Wiener Kunstgewerbeschule eingegliederten Jugendkunstklasse gewannen insbesondere
im angloamerikanischen Raum früh an Ansehen; in zahlreichen internationalen Wanderausstellungen gingen Arbeiten seiner Schüler:innen
auf Tournee. Die Klasse war darauf ausgerichtet, Kinder und Jugendliche in unterschiedlichsten Techniken und Materialien zu
unterrichten sowie in gemeinsamen Besprechungen die eigene kreative Entfaltung zu ermöglichen.
Die Ausstellung
untersucht den neuen Status der künstlerischen Arbeit von Kindern als eigenständige, vorbildhafte und ausstellungswürdige
Praxis und die Funktion vergleichsweise einfacher Techniken wie die des Linolschnitts, wie sie in Čižeks und Flights Lehre
sowie in Tschudis künstlerischer Praxis etabliert und genutzt wurden, in ihrem Verhältnis zu gesellschaftlichen Transformationen
und künstlerischen Neuerungen. Neben der Relevanz publizierter Druckgrafiken für Tschudis Entwicklung – etwa jene von Norbertine
Bresslern-Roth (1891–1978), deren Tierdarstellungen sie von einer Ausstellung im zoologischen Garten Antwerpen kennt und später
über die Zeitschrift The Studio rezipiert – und dem Kontext der Wiener sozialdemokratischen Bildungsreform interessieren mögliche
„stilistische Ansteckungen“ (Barbara Wittmann), Verwandtschaften und Übersetzungen, die der institutionellen Umgebung der
Jugendkunstklasse geschuldet waren. Das Interesse Čižeks für sogenannte Volkskunst oder die Druckgrafik der Wiener Werkstätte
überschnitt sich beispielsweise mit einer von ihm angeregten eklektischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Avantgardebewegungen
wie dem Futurismus oder dem Kubismus, über die sich die Studierenden seiner Kurse für Ornamentale Formenlehre Problemen von
Bewegung, Raum und Zeitlichkeit näherten. Vergleichend wird nach der Rolle des britischen Vortizismus für die Grosvenor School
für das etwa 450 Linolschnitte umfassende Werk Lill Tschudis gefragt, welches häufig dynamischen Darstellungen großstädtischer
Alltagszenen, Sport- und militärische Sujets zeigt.
In der Ausstellung
Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful
sort of game werden solche personellen, historischen und formalen Bezüge zwischen Lill Tschudis und Franz Čižeks Praktiken
mittels spielerischer Schichtungen und Querschnitte lesbar gemacht und in ihrem Verhältnis zu internationalen Formationen
und Fragestellungen der Moderne diskutiert.
Die Ausstellung bezieht sich auf die Schau
Lill Tschudi. Die Faszination
des Linolschnitts 1930–1950, die 2021–22 an der Graphischen Sammlung ETH Zürich zu sehen war.
Gesamtleitung:
Cosima Rainer
Kuratorisches Team: Stefanie Kitzberger und Robert Müller in Kooperation mit Alexandra
Barcal (Graphische Sammlung ETH Zürich)
Gestaltung: Robert Müller
Ausstellungsorganisation:
Judith Burger, Laura Egger-Karlegger
Recherchen und Begleitheft: Laura Egger-Karlegger, Stefanie Kitzberger,
Eva Marie Klimpel, Ursula Pokorny, Lian Hannah Walter, Robert Müller
Leitung Ausstellungsbüro Universitätsgalerie:
Anette Freudenberger
Öffnungszeiten:Mi - Sa: 14:00 - 18:00 (Feiertags geschlossen)
Ornamentale FormenlehreTermine zur Ausstellung
Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful
sort of game11. Oktober – 16. Dezember 2023
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Eingang
Schönlaterngasse 5 oder Grashofgasse 3, Stiege 8, 1. Stock, 1010 Wien
Oktober–Dezember 2023
Werkstatt Offene
Form
Lehrveranstaltung von Ricarda Denzer und Johannes PorschKooperation von Kunstsammlung und Archiv mit dem Institut
für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Kunst und Kommunikative Praxis
Die Künstler:innen
und Lehrenden Ricarda Denzer und Johannes Porsch haben auf Einladung von Kunstsammlung und Archiv im Wintersemester 2023/24
eine Reihe von Lehrveranstaltungen zur Ausstellung entwickelt. Diese widmen sich Fragen zur Form eines möglichen Begleitprogramms,
der in einem offenen Dialog mit der Ausstellung entwickelt wird, in dessen Zentrum Fragen nach Formbildung und Wahrnehmung
stehen.
Anmeldung für Studierende:
https://base.uni-ak.ac.at/courses/2023W/S03284/
(Künstlerische Projektarbeit | Ausstellen / Display, Seminar von Johannes Porsch)
https://base.uni-ak.ac.at/courses/2023W/S03140/
(Künstlerische Projektarbeit | Kunst und Prozess, Seminar von Ricarda Denzer)
Ort: Universitätsgalerie
der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Für die folgenden Veranstaltungen ist keine Voranmeldung notwendig. Wir freuen
uns auf Ihren Besuch!Freitag, 10. November 2023, 18 Uhr
Bewegtes Gespräch:
Frauenkunst, Schulkunst oder Avantgarde?
Monika Platzer (Leitung Sammlung und Kuratorin, Architekturzentrum
Wien) im Gespräch mit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
Mittwoch,
15. November 2023, 18 Uhr
Franz Čižek – Spielräume der Kunst
Vortrag von Rolf Laven
(Hochschulprofessor, lehrt und forscht an der Angewandten, der Bildenden und an der Pädagogischen Hochschule Wien), anschließend
Gespräch mit Bernadette Reinhold (Kunstsammlung und Archiv)
Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
Samstag,
25. November 2023, 14 Uhr
Führung für Kinder und Jugendliche mit Laura Egger-Karlegger und Eva Marie Klimpel
Dienstag,
28. November 2023, 17 Uhr
Kurator:innen-Führung mit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
Donnerstag,
7. Dezember 2023, 18 Uhr
The Spectacle of the Everyday – Die Schweizer Künstlerin Lill Tschudi und
der moderne Linolschnitt
Vortrag von Alexandra Barcal (Graphische Sammlung ETH Zürich)
Dienstag,
12. Dezember 2023, 17 Uhr
Kurator:innen-Führung mit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
Mittwoch, 13. Dezember 2023, 18 Uhr
Geben wir uns / teilen wir uns / überallhin. - Alles ist Tanz
Performance von Sara Lanner mit Johanna Nielson
Freitag, 15. Dezember 2023, 18 Uhr
Anachronismus
und Avantgardismus der Kindheit: Franz Čižek, Reformpädagogik und Anthropologie nach 1910
Vortrag von Barbara Wittmann
(Professorin für Kunstwissenschaft und Ästhetik, Universität der Künste Berlin)
Samstag,
16. Dezember 2023, 15:30 Uhr
Nachrichten aus der Praxis
Flora Klein im Gespräch mit
Robert Müller
Franz Zar im Gespräch mit Robert Müller
Jutta Zimmermann und Thomas Hesse im Gespräch