Anlässlich der 57. Venedig-Biennale lädt die Universität
für angewandte Kunst Wien im Rahmen der Biennale Sessions zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel Kunst in Zeiten
von Disintegration. Da Brigitte Kowanz und Erwin Wurm mit ihren künstlerischen Positionen heuer den Österreich-Pavillon
gestalten und die Angewandte mit beiden Künstler_innen aufs Engste verbunden ist, werden in diesem Jahr keine künstlerischen
Arbeiten durch die Angewandte präsentiert.
Unter der Moderation der Journalistin
und Autorin
Clarissa Stadler diskutieren in englischer Sprache
Carol Becker, Professorin
und Dekanin, The School of Arts, Columbia University, NY, USA,
Brigitte Kowanz, Künstlerin und Professorin
an der Universität für Angewandte Kunst Wien,
Helga Nowotny, Wissenschaftsforscherin; ehem. Präsidentin Europäischer
Forschungsrat (ERC); Vorsitzende ERA Council Forum Austria; Mitglied Österr. Rat für Forschung & Technologieentwicklung;
Professorin emerita, ETH Zürich, CH,
Erwin Wurm, Künstler und ehem. Professor an der Universität für angewandte
Kunst Wien 2005-10 und
Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien.
KUNST
IN ZEITEN VON DISINTEGRATION Immer mehr Menschen realisieren, dass sich politische und wirtschaftliche
Systeme sowie individuelle Lebensbedingungen (Arbeitsplatz, Familie, soziale Sicherheit) nicht mehr so positiv entwickeln,
wie in den letzten Jahrzehnten. Das betrifft nicht nur die so genannte „westliche“ Welt, wo Wachstum und Wohlstand bis vor
kurzem gleichmäßig anstiegen, sondern auch Schwellen- und Entwicklungsländer.
Obwohl weltweit Hunger und Armut zurückgehen,
steigt das Gefühl von Unsicherheit und Bedrohung. Standards für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit scheinen selbst dort,
wo sie gesichert schienen, ins Wanken zu geraten.
Wenn Digitalisierung und Robotik zum vorhersehbaren massenhaften Verlust
von Arbeitsplätzen führen, bedroht das die Zukunftsperspektive für viele Menschen und erzeugt existenziellen Stress, Angst
und Aggression. Wenn Artificial Intelligence und Gentechnik sogar die Rolle des Menschen am Steuerrad der Zivilisation in
Frage stellen, droht Wissenschaftsskepsis in Bildungsfeindlichkeit zu kippen. Wenn mit so genannten „alternativen Fakten“
die Ignoranz gesellschaftsfähig gemacht werden will, setzt dies eine Bewusstseins-Spirale in Gang, die in der gesellschaftlichen
Destruktion enden kann.
Welche Rolle spielt die Kunst in diesem Szenario?
Ist Kunst „Statthalterin der Utopie“ (T. W. Adorno)? Ist sie Spiegel der Gesellschaft?
Ist Kunst ein Spielball
der „unsichtbaren Hand“ des Marktes? Oder ist sie Währung und Ware im globalen Wirtschaftssystem?
Die Kunst
lebt vom Umgang mit Zweifel, Ungewissheit, Diskontinuität und Mehrdeutigkeit: Wird der Kunst in einer von diesen Tendenzen
geprägten Gesellschaft neue Bedeutung abseits der traditionellen Kunstmärkte zukommen? Muss sich die Kunst mit den Wissenschaften
verbünden, um in einer zunehmend komplexer werdenden Welt Wirkungskraft zu erlangen? Darf die Gesellschaft überhaupt Erwartungen
oder gar Wirkungsansprüche an die Kunst (und an die Wissenschaft) stellen? Und wenn nicht: Bedeutet das den Rückzug in den
Elfenbeinturm? Oder ist es vielmehr so, dass die Kunst die Gesellschaft der Zukunft jedenfalls durchdringen und verändern
wird - mehr und schneller als je zuvor?
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