Beschreibung
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Das Kaffeehaus ist der Minotaurus im Labyrinth Wien, jenem Irrgarten, in dem sich alle auskennen. Als Ariadnefaden dient der
Diskurs, der hier gepflogen wird. Sei er selbstreferentiell oder dialogisch.
Viel Unsinn ist über diesen wienmythischen Ort geschrieben worden. Das meiste von Einheimischen, der Rest von unterinformierten
Adoranten aus dem befreundeten Ausland. Effekt dieser Publikationsflut ist ein grundsätzliches Missverständnis Uneingeweihter
über Funktion und Bestimmung des Wiener Kaffeehauses.
In Zirkulation befinden sich Deutungen, die dem Wiener Kaffehaus uneingelöste gastronomische Kompetenzen zusprechen – von
der Eleganz und dem Charme der Oberkellner ist die Rede, von der fabulösen Mehlspeistradition, und der unnachahmlichen Qualität
des hier gesiedeten Kaffees. Unsinn.
Wegen des Kaffees jedenfalls ging oder geht niemand mit ernsten Absichten und einigermassen Erfahrung in ein Wiener Kaffeehaus.
Der Bohnenseich ist im besten Fall trinkbar, meist ärgerlich bitter, schal und nicht selten schlicht ungenießbar.
Warum also geht man in Wien in ein Kaffeehaus? Warum bleibt ein Wienbesuch leer und ereignislos, ohne den Besuch einer solchen
gastronomischen Einrichtung? Die Frage ist so berechtigt, wie unbeantwortet. Im Triestiner Caffè degli Specchi gibt es den
besseren Kaffee, das venezianische Caffè Florian hat die bessere Adresse (und das elegantere Ambiente), das New York kávéház
in Budapest beeindruckt mit grösserem Prunk und in den Pariser Cafés Les Deux Magots und de Flore wird mehr und höherstehend
philosophiert, geschrieben und debattiert. Was also macht das Wiener Kaffeehaus zu einer Institution von weltgeltender Einzigartigkeit?
Ins Wiener Kaffeehaus, so die lokale Sinnstiftung, ging und geht man, um sichtbar unsichtbar zu sein, ungestört zu stören,
und, wie es so treffend heißt, nicht daheim zu sein und doch zu Hause. Das ist alles? Das ist alles.
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