Semiotische Symbiose als Posthumanes Allgemeingut
Projektleiter: Klaus Spiess,
Medizinische Universität Wien/ Zentrum für Public Health
Nationaler Forschungspartner: Ruth Schnell, Universität für
angewandte Kunst Wien/ Digitale Kunst
Projektmitarbeiterin: Ulla Rauter, Universität für angewandte Kunst Wien/ Digitale
Kunst
Laufzeit: 01.02.2022 - 31.01.2024
Austrian Science Fund (FWF): AR 687 Programm zur Entwicklung und Erschließung
der Künste (PEEK)
Auf dem Weg zu neuen zeicheninspirierten Lebensformen.
Die in uns und um uns lebenden Mikroorganismen haben besondere Eigenschaften: Sie wachsen, sie kennen keine Grenzen
und Rangordnungen, sie wechseln bei wirtschaftlicher Ausbeutung ihren sexuellen Fortpflanzungsmodus, sie können täuschen,
vortäuschen und manipulieren, sowie dezentral denken. Als umherstreifende Weltbewohner sind sie zu einer breiten Palette
von Umweltoperationen fähig. Diese Fähigkeiten fehlen anderen Bewertungssystemen, die das menschliche Leben zunehmend prägen:
den Zeichen. Da die Zeichen dem Lebendigen gegenüber gleichgültig sind, ermöglichen sie dessen Speicherung, dessen Vergleich
und dessen Tausch.
In unseren Experimenten erfinden sich künstlerische, monetäre und sprachliche Zeichen neu, indem
sie Informationen mit lebenden Mikroorganismen austauschen. Auf diese Weise wollen wir ein zukünftiges Gemeingut denken,
das sich der Logik der wirtschaftlichen Ausbeutung widersetzt.
Unsere Fragen lauten: Welche Lebensformen entwickeln sich,
wenn sich jeweils der Austausch durch die Nachahmung, die Archivierung durch das Wachstum, die Messung durch die Täuschung
neu organisieren? Wie verändert sich unsere Sprache als Teil einer mikrobiellen Umweltoperation? Wie sprechen wir, wenn orale
Mikroben zu Mitautoren unseres Sprechens werden? Widersteht die Kunst ihrer möglichen Ausbeutung, wenn sie lebt und sich
erinnert? Darf ein Reliquie wachsen? Ist vorgetäuschtes oder dezentrales Geld ein sinnvolles Tauschmittel?
Unsere künstlerischen
Versuchsanordnungen sollen zu einer Selbstorganisation eines Gemeingutes aus Information und lebendiger Materie führen, mit
dem wir über ein Zeitalter nach der Vormachtstellung des Menschen nachdenken. Welches Gemeingut könnte sich bilden, wenn
sich aus den Informationen, die Menschen hinterlassen haben, eigene neue Lebensformen entwickeln?
Wir arbeiten transdisziplinär
mit Medienkunst, Zeichentheorie, maschinellem Lernen, Biotechnologie, Mikrobiologie, Kultur- und Sozialwissenschaften, mythopoetischen
Erzählungen und künstlerischer Performance. Das im Rahmen des Projekts entstehende materieübergreifende Gemeingut wird
zum unabhängigen Akteur und Mitautor unserer Arbeitssitzungen, Konferenzen und künstlerischen Werke.
Fotocredits:
Microbes performing in Zoom. Ars Electronica - Antidisciplinary topographies 2021 (c Klaus Spiess&Lucie Strecker).