Künstlerische Forschung


Weitere Informationen zu Projekten künstlerischer Forschung im Rahmen des PEEK-Programms des FWF finden Sie in der Projektübersicht:
Projekte künstlerischer Forschung


FEATURES: Wiener Gesichtsprojekt/Labor der Sinne

Christina Lammer

Institut für bildende und mediale Kunst

In diesem Projekt beschäftigen wir uns mit zeitgenössischen Praktiken des Porträtierens. Diese beschränken sich keineswegs auf künstlerische Formen, sondern beziehen die chirurgische Wiederherstellung des Gesichts mit ein. Ausgehend vom Selbstporträt oder der Präsentation des Selbst im Alltag wird das menschliche Ausdruckspotential untersucht. Hierzu werden ausgewählte Porträts von KünstlerInnen mit jenen von Kranken konfrontiert, die in ihrer mimischen Selbstdarstellung behindert sind und sich in der plastischen Chirurgie behandeln lassen.


KünstlerInnen wenden unterschiedliche Strategien an, sich mit dem Körperbild und seinen Ausprägungen auseinanderzusetzen. Exemplarisch dienen künstlerische Arbeiten von Franz Xaver Messerschmidt, Oskar Kokoschka, Hermann Heller, Arnulf Rainer, Kurt Kren, Günter Brus und Maria Lassnig als Inspirationsquellen und Untersuchungsgegenstände, um einen sensorischen Ansatz zu entwickeln und diesen mit ethnografischen Methoden zu kombinieren. Eine Laborsituation wird hergestellt, in der fächerübergreifend und experimentell an der Frage gearbeitet wird, was es heißt, "anders" zu sein und mit einer Entstellung zu leben.
Eine ?Fallstudie' mit im Gesicht Gelähmten wird durchgeführt, die in der rekonstruktiven Chirurgie behandelt werden, um ihre Mimik wiederherzustellen. Methodisch kombinieren wir Kunstansätze mit der visuellen und sensorischen Anthropologie sowie mit kulturhistorischen Analysen. Die Videokamera wird als Verlängerung des Körpers und als Prothese eingesetzt. Mittels Kamera kreierte Nahaufnahmen erzeugen eine im täglichen Leben unübliche Distanzlosigkeit zu den Gesichtern anderer. Normalerweise schränken gesellschaftliche Konventionen Nähe und Intimität ein. Der Kinoblick hingegen kombiniert das Private mit dem öffentlichen Spektakel. Zudem porträtieren wir mit Hilfe von biografischen Interviews.
In dieser Versuchsanordnung wird das Porträt als eine vorübergehende Situation definiert und in einen Zusammenhang des gesellschaftlichen und politischen Handelns eingebettet. Porträtieren wird als performativer Akt begriffen. Die Wechselwirkungen zwischen einer körperlichen ?Entstellung' und der ?Wiederherstellung' einer modellhaften Mimik werden als kulturelles Spannungsfeld deutlich. Folgende Praktiken kommen exemplarisch ins Spiel und werden miteinander verwoben: Videoporträts und diagnostische Tests, Selbstexperimente und Gesichtsoperationen, Autopathografien und therapeutische Übungen der Gesichtszüge. In einem Labor der Sinne wird die Ausdruckskraft des Gesichts Disziplinen übergreifend im permanenten Wechsel zwischen ?Deformation' und ?Rekonstruktion' zur Darstellung gebracht.

 

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